„Ach, welch ein Unterschied ist es, ob man sich oder die andern beurteilt“, schrieb schon Goethe. Wer Menschen kennt, der weiß, dass die meisten unserer Zeitgenossen handeln, um geliebt und angesehen zu werden. In der Politik gibt es viele anerkennungsbedürftige Männer mit „kleinen Händen“ und großen Worten. Doch: Man liebt und dient sich nicht selbst, wenn man nicht auch streng und kritisch zu sich selbst sein kann. Bundestagspräsident Norbert Lammert hat in seiner genialen Rede zur Eröffnung der 16. Bundesversammlung beeindruckend dargelegt, dass das Zusammenwirken und das Zusammenleben in der Demokratie „Selbstkritik und Selbstkorrektur“ erfordert. Nach dem „Montblanc-Skandal“, in dem die Springer-Zeitungen jahrelang mit Lammert in mehreren Gerichtsinstanzen um die verweigerte Herausgabe der Abgeordneten-Namen der sogenannten „Montblanc-Raffkes“ streiten mussten, und sich der Bundestagspräsident erst durch das Oberverwaltungsgericht belehren ließ, ist das eine gute Erkenntnis. Weitere Korruptionsskandale von anderen "Raffkes" sind bereits in der „Pipeline“ investigativer Journalisten. Die Demokratie blüht nicht nur von unserer eigenen Meinung; sie muss auch Toleranz gegen andere Meinungen zeigen. Im Streit und in der Kritik wird die Wahrheit geboren; Reibung erzeugt Wärme für wahre Demokratie. Deswegen brauchen wir mehr Transparenz für die Wahrheit und für einen offenen Staat, statt Geheimniskrämerei. Weil die Wahrheit der Todfeind der Lüge ist, gelingt es niemals auf Dauer, die Menschen von den politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen der Lüge und der Vertuschung bitterer Wahrheiten abzuschirmen. Deswegen brauchen das Unrecht und auch die noch schwebenden Korruptionsskandale im Staat, bei VW, im Fußball, im Bankwesen und anderswo, der permanenten Aufklärung. Die Demaskierung der Vertuschung und die Aufdeckung der Wahrheit sichert die Demokratie. Sie sichert auch den Bestand von Zeitungen. Die Griechenland-Krise, die Euro-Krise, die EU-Krise, die Staatsschuldenkrise (und deren versuchte Lösung durch den Diebstahl mit der Inflation und der Geldentwertung) kommen mit Brutalität zurück. Es wird herauskommen, warum der gigantische VW-Betrug so lange vertuscht wurde und welche Politiker in den letzten Jahren Empfänger und Begünstige welcher "VW- VORTEILE“ waren. Viele fragen sich jetzt, ob Winterkorn nur noch deshalb nicht im Gefängnis sitzt, weil er zu viel über die Empfänger von VW-Wohltaten weiß. Wer die Ermahnungen des Bundestagspräsidenten zur Selbstkritik und Selbstkorrektur ernst nimmt, der redet jetzt nicht nur, sondern handelt. Und weil Niedersachsen VW-Land ist, dürften Weil, Gabriel und Co. ein heißer Enthüllungsherbst mit beträchtlichen Absturzgefahren bevorstehen.
Ein vornehmer Mensch tadele sich selbst, ein gewöhnlicher die andern, meinte bekanntlich schon Konfuzius. Die Deutschen haben im vergangenen Jahr erneut gigantischen Steuereinnahmen und Exportüberschüsse hart erarbeitet. Deswegen sollten sich unsere regierenden Politiker mehr für die guten Tugenden unserer Bürger bedanken und bei sich selbst nach ihren Schwächen und Versäumnissen suchen. Dann haben populistische Chaos-Parteien keine Chancen.
Wir veröffentlichen die Rede des Bundestagspräsidenten im vollen Wortlaut.
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